Auf den Spuren der Römer im Allgäu

Lehrgrabung der Gesellschaft für Archäologie in Bayern 2022 in Kempten

Es war im September 1885, als der Kaufmann August Ullrich zum ersten Mal den Spaten auf dem Plateau des Lindenbergs im heutigen Kempten ansetzte, um gezielt nach römischen Siedlungsresten zu suchen – und dabei auf nicht weniger als das antike Forum von Cambodunum stieß. Die Vielzahl archäologischer Ausgrabungen, die in den folgenden Jahrzehnten stattfanden, vermitteln eine Vorstellung vom Ausmaß der römischen Siedlung, deren Steinbauphase den Eindruck einer planmäßig angelegten Stadt vermittelt. Während der Gesamtplan der archäologisch gut greifbaren Steinbauten der Mittleren Kaiserzeit inzwischen weitgehend erfasst werden konnte, ist die frühe Holzbauphase, die zu Beginn des 1. Jh. n. Chr. einsetzte und spätestens ab flavischer Zeit sukzessive von Steingebäuden abgelöst wurde, immer noch ein Desiderat.

Estrichfußboden Abb. 1: Ein Wohnraum mit nahezu unversehrtem Estrichfußboden (Foto: F. Bente) Bild vergrößern

Seit 2019 finden im Rahmen eines Kooperationsprojekts zwischen der Stadtarchäologie Kempten und der LMU München erneut Ausgrabungen auf dem Lindenberg statt. Unter der Leitung von Prof. Dr. Salvatore Ortisi (LMU) werden gezielte Bereiche der Insula 1, eines römischen Stadtviertels in unmittelbarer Nähe des Forums, aufgedeckt, um u. a. Fragen nach der Siedlungsgenese und den frühen Siedlungsphasen in diesem Teil der Stadt zu beantworten. Zwar wurden Teile der Mauern bereits im späten 19. und frühen 20. Jh. freigelegt, jedoch waren zu dieser Zeit sogenannte „Mauergrabungen“ üblich, bei denen lediglich die Mauerverläufe verfolgt und die Innenräume sowie tieferliegenden Schichten weitgehend unbeachtet blieben – ein Glücksfall für die Forschung, die die intakten Befunde nun mit modernsten Methoden erschließen kann.

Im Fokus der diesjährigen Grabungskampagne 2022 stand die Freilegung des Nordwestteils der Insula 1 mit dem Ziel, den durch A. Ullrich erstellten Gebäudegrundriss an ausgewählten Stellen zu überprüfen und Grundlagen für eine bauforscherische Aufnahme zu bilden.

Hierbei wurden nicht nur eine Vielzahl von Wohnräumen mit beinahe unversehrten Estrichböden (Abb. 1), sondern auch der dazugehörige Innenhof und die zur Straße gerichtete Portikus in Teilen ergraben.

Von besonderem Interesse war dabei das bereits aus den Grabungsunterlagen des Erstausgräbers bekannte Badegebäude im Innenhof der Insula (Abb. 2). Es bestand aus zwei beheizten Apsidenräumen, einem Warmbad (caldarium) und einem Laubad (tepidarium), die über eine Heizkammer (praefurnium) befeuert wurden. Völlig überraschend war dabei das Fehlen eines Kaltbades (frigidarium) sowie der gute Erhaltungszustand der Fußböden, die noch über intakte Estriche und Hypokaustpfeiler verfügten.

Mitglieder der Gesellschaft Abb. 3: Mitglieder der Gesellschaft für Archäologie in Bayern bei der Freilegung und Dokumentation der Befunde (Foto: F. Bente) Bild vergrößern

Mit Ausnahme einiger markanter Objekte folgte das sehr heterogene Fundmaterial weitgehend dem an römischen Siedlungsplätzen zu erwartenden Fundspektrum. Zu nennen sind hier beispielsweise eine nahezu vollständige Bronzefibel, eine beinerne Haarnadel, mehrere Terra-Sigillata-Fragmente mit eindeutig zuweisbaren Töpferstempeln sowie ein Dachziegel (tegula) mit dem Abdruck einer Hundepfote.

In diesem Jahr bot sich den Mitgliedern der Gesellschaft für Archäologie in Bayern die Möglichkeit, gemeinsam mit Studierenden der LMU München, der OTH Regensburg und der KU Eichstätt-Ingolstadt im Rahmen einer Lehrgrabung unter der Leitung von Julius Fagner (LMU) für einige Wochen (01.–26. August 2022) an diesem Projekt mitzuwirken, um Einblicke in die römische Geschichte Kemptens und die praktische Grabungstechnik zu erhalten (Abb. 3 und 4).

Mit höchst lobenswertem Engagement waren die TeilnehmerInnen an der Freilegung der Befunde, der Fundbearbeitung und der Grabungsdokumentation beteiligt, wobei sie von der Zusammenarbeit mit Studierenden unterschiedlicher Erfahrungsstufen und archäologischer Studiengänge profitieren konnten.

An dieser Stelle sei den beteiligten Institutionen für die reibungslose Organisation, allen Förderern für die Unterstützung sowie den beteiligten MitarbeiterInnen für ihr Engagement gedankt, welches die Grabung erst ermöglicht hat.

Fabian Bente