Denkschrift zur Situation der Landesarchäologie in Bayern

P R Ä A M B E L

Angesichts der Tatsache,

  • dass die fortschreitende Entwicklung der modernen Wirtschafts- und Gesellschaftsformen eine immer größere Bedrohung und Zerstörung der archäologischen Denkmäler im Freistaat Bayern mit sich bringt,
  • dass demgegenüber die staatlichen Schutzeinrichtungen und ihre finanzielle Ausstattung immer weniger hinreichen, ja sogar von Kürzungen bedroht sind;

aus der Überzeugung heraus,

  • dass die Bewahrung unseres bayerischen Kulturerbes nicht nur eine staatliche, sondern eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe von hervorragender Bedeutung darstellt,
  • dass die bayerische Landesarchäologie in staatlicher wie nichtstaatlicher Trägerschaft die unentbehrlichen Grundlagen für die Erforschung und Darstellung weiter Bereiche der bayerischen Landesgeschichte, insbesondere für deren Ur- und Frühgeschichte, zu liefern hat,
  • dass die bayerische Landesarchäologie im Rahmen der bayerischen Landesgeschichte jenen Bereich darstellt, der sich am dynamischsten entwickelt, der sich im stärksten Maße fortschrittlicher wissenschaftlich-technischer Methoden bedient und der sich am meisten und im größten Umfang unaufschiebbaren und unabweisbaren Aufgabenstellungen gegenübersieht;

nicht zuletzt auch in dem Bewusstsein,

  • dass sich aus der Anerkennung der Europäischen Konvention zum Schutz des archäologischen Erbes (Malta-Konvention von 1992) auch für den Freistaat Bayern die europaweite Verpflichtung zur weiteren gesetzlichen Verankerung des Schutzes seines archäologischen Kulturerbes ergibt,

bringt der von der Gesellschaft für Archäologie in Bayern am 15./16. November 2002 in Beilngries versammelte Expertenkreis nach Prüfung zahlreicher kompetenter Stellungnahmen und eingehender Beratung folgende zweckdienlichen Überlegungen und notwendigen Vorschläge zum Ausdruck:

Überlegungen und Vorschläge

1.1 Die so genannten Bodendenkmäler in Bayern bedürfen als Teil unseres kulturellen Erbes stärkerer Beachtung und eines wirksameren Schutzes.
1.2 Sie sind als nichtschriftliche Geschichtsquellen von der gleichen Bedeutung und Schutzwürdigkeit wie die schriftlichen Quellen der bayerischen Landesgeschichte.
2.1 Eingriffe in den Kulturboden, die zur Beschädigung oder gar zur Zerstörung von Teilen des archäologischen Erbes führen, sind genehmigungspflichtig und müssen ordnungsgemäß abgewickelt werden.
2.2 Hierzu gehören die fachgerechte Vorbereitung und Durchführung der Grabungen, die fachgerechte Dokumentation und Restaurierung der Funde sowie deren fachgerechte wissenschaftliche Bearbeitung und Veröffentlichung.
3.1 Die in diesem Zusammenhang anfallenden Kosten sollen – wie bei anderen Arten der gemeinschädlichen Einwirkungen auf die Umwelt auch – im Rahmen der Zumutbarkeit vom Verursacher getragen werden. Insofern ist das Bayerische Denkmalschutzgesetz zu ergänzen.
3.2 Für Härtefälle ist ein Entschädigungsfonds in der staatlichen Bodendenkmalpflege zusätzlich zum bereits bestehenden Entschädigungsfonds in der Baudenkmalpflege zu schaffen.
3.3 Darüber hinaus ist eine Erhöhung der regulären Zuschussmittel anzustreben.
4.1 Die Einführung des so genannten großen Schatzregals für Bayern wird empfohlen.
4.2 Archäologische Funde sind Eigentum der Gemeinschaft, vor allem der künftigen Generationen; sie müssen daher nach fachgerechter Bergung sicher aufbewahrt und, soweit angezeigt, möglichst bürgernah präsentiert werden.
4.3 Die ungenehmigte Suche nach archäologischen Objekten mit technischem Gerät, wie Metallsonden, ist zu unterbinden.
4.4 Der Handel mit archäologischen Fundstücken ungeklärter Herkunft ist sehr kritisch zu bewerten, da der Verdacht auf Beihilfe zu gemeinschädlichem Eigentumsvergehen immer nahe liegt.
5.1 Eine stärkere Verankerung der bayerischen Landesarchäologie in den Landkreisen und Kommunen ist mehr als wünschenswert.
5.2 Anzustreben ist die Entwicklung eines landesweiten Systems von Kreis- und Stadtarchäologien als Ergänzung zur staatlichen Bodendenkmalpflege und die Verankerung dieses neuen Systems im Denkmalschutzgesetz, analog zu dem bewährten System des staatlichen und nichtstaatlichen bayerischen Archivwesens.
5.3 Es ist zu befürchten, dass die Organisationsreform des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege eine Verschlechterung der Situation der Landesarchäologie zur Folge haben wird. Die Zusammenlegung von Gebietsreferaten muss ohne Nachteile für die gleichmäßige Betreuung der Regionen erfolgen. Eine ausreichende personelle und materielle Ausstattung der Gebietsreferate ist zu gewährleisten.
6.1 Wichtig für die Weiterentwicklung der Landesarchäologie ist auch eine verstärkte Zusammenarbeit mit den bayerischen Universitäten und deren einschlägigen Instituten.
6.2 Von neuen naturwissenschaftlichen Disziplinen, wie der Archäobiologie (Archäoanthropologie, Archäozoologie und Archäobotanik), können wichtige Impulse für die Landesarchäologie erwartet werden.
6.3 Daher wird die Einrichtung eines Lehrstuhls oder einer Professur mit dem Schwerpunkt Landesarchäologie dringend empfohlen, analog zu den vorhandenen Lehrstühlen für Bayerische Landesgeschichte.
7.1 Tausende von Bürgern in Dutzenden von Vereinigungen engagieren sich in Bayern in ihrer Freizeit für landesgeschichtliche und landesarchäologische Belange.
7.2 Dieses wertvolle menschliche Potential von Ehrenamtlichen ist als wichtigster gesellschaftlicher Partner der staatlichen Landesarchäologie zu würdigen, nicht nur als billiger Ersatz für fehlende amtliche Ressourcen.
7.3 Die ständige Beratung, Schulung und Betreuung dieser ehrenamtlichen Kräfte ist von staatlicher Seite zu gewährleisten und möglichst zu verbessern.
7.4 Auch die Vernetzung zwischen den ehrenamtlich Tätigen, wissenschaftlichen Institutionen, privaten Grabungsfirmen und der Gesellschaft für Archäologie in Bayern einerseits und mit den amtlichen Einrichtungen andererseits ist zu verbessern.
8.1 Neben der Archäologischen Staatssammlung in München und ihren Zweigmuseen im Land sind die archäologischen Abteilungen in nichtstaatlichen Museen, insbesondere in Stadt- und Kreismuseen, Spiegelbild der archäologischen Landesgeschichte und damit auch unentbehrliche Medien für den Kontakt der Landesarchäologie zur Öffentlichkeit.
8.2 Bemerkenswerte neue Grabungs- und Forschungsergebnisse der Landesarchäologie sollten der Öffentlichkeit jeweils aktuell und ansprechend in Wechsel- und Wanderausstellungen präsentiert werden, weil dies der beste Weg ist, die benötigte Akzeptanz des Bürgers gegenüber seinem archäo-logischen Kulturerbe und, daraus folgend, die Akzeptanz des unvermeidlich gewordenen Verursacherprinzips zu erreichen.
8.3 Wünschenswert erscheint es deshalb auch, die Landesstelle für die nichtstaatlichen Museen in Bayern für ihre Beratungstätigkeit im Bereich der Archäologie personell zu verstärken.

Beilngries, am 16. November 2002

Für die Teilnehmer an der Expertenrunde:
Prof. Dr. Helmut Bender, Vorsitzender der Gesellschaft für Archäologie in Bayern e. V.